Wandering Souls ist das Romandebüt von Cecile Pin, die darin zum Teil ihre eigene Familiengeschichte aufgreift. Die Story um drei Geschwister bringt den Leser*innen ein Stück vietnamesische Geschichte näher. Der Roman war nominiert für den WOMEN’S PRIZE FOR FICTION 2023.
Wandering Souls – Darum geht’s:
Im November 1978 packen Anh sowie ihre beiden jüngeren Brüder Minh und Thanh ihre wichtigsten Habseligkeiten zusammen und verlassen ihre Familie und das vietnamesische Dorf, in dem sie aufgewachsen sind. Die drei Geschwister bilden die Vorhut, bevor die gesamte Familie nach Ende des Vietnamkrieges in die USA fliehen will. Anh, Thanh und Minh stranden in einem Auffanglager in Hongkong, wo sie vergebens auf ihre Familie warten. Nun ist es an der gerade 16-jährigen Anh, für sie zu sorgen. Schließlich gelangen die drei nach England und müssen versuchen, ihren Platz in dem fremden Land zu finden.
Bewegendes Schicksal
In Cecile Pins Roman bin ich zum ersten Mal über die sogenannten „Boatpeople“ gestolpert, ein Begriff, der heute recht allgemein für Personen genutzt wird, die ihre Heimat mit Booten verlassen. Ursprünglich bezog er sich aber vor allem auf die Menschen, die nach dem Krieg aus Vietnam fliehen mussten. Sie alle verbindet ein Schicksal, das noch heute, Generationen später, ein Trauma für viele ist. Auch die Geschwister Anh, Minh und Thanh gehören in der Geschichte zu diesen Boatpeople, die glücklicherweise die Überfahrt überleben, aber dennoch in Hongkong stranden. Oft dauert es Monate, bis die gewünschten Zielländer – allen voran die USA, aber auch England und Deutschland – Einreiseerlaubnisse ausstellten, manchmal wurden gar keine erteilt.
Die Eltern und jüngeren Geschwister kommen nie in Hongkong an, sodass die drei Geschwister auf sich gestellt sind. Spätestens in England – wo sie eigentlich nie hin wollten – erfahren sie, was es bedeutet, fremd zu sein. Als Älteste geht Anh arbeiten, um ihre Brüder und sich über Wasser zu halten. Dabei kommt ihre Schulbildung zu kurz und der Traum vom Glück außerhalb Vietnams scheint in unerreichbarer Ferne.
Fiktion und Historie
Cecile Pins Roman basiert in Teilen auf ihrer eigenen Familiengeschichte und so mischt sie gekonnt Historie und Fiktion. Immer wieder gibt es kürzere Kapitel zu wahren historischen Begebenheiten, beispielsweise zur Rettung von Gestrandeten von einer Insel oder zum Unmut der britischen Regierung unter Margaret Thatcher, 10.000 Geflüchtete (von mehr als 500.000 insgesamt) aufzunehmen.
Eine weitere interessante Perspektive hat Dao, der jüngere Bruder Anhs, der in Form seiner Seele – der „Wandering Soul“ – über die Geschwister wacht und ihre Schritte in ein neues Leben verfolgt. Gegen Ende nimmt zudem der zeitgenössische Strang aus Sicht von Anhs Tochter immer mehr Platz ein. Das fand ich sehr gelungen.
Fazit: Wandering Souls
Ich kann Cecile Pins Debüt wirklich empfehlen. Vieles von dem, was im Roman über diesen Abschnitt der vietnamesischen Geschichte aufgegriffen wird, war mir so nicht bewusst. Hinzu kommt die Geschichte der drei Geschwister, die ich sehr berührend fand. Man kann sich nur schwer vorstellen, welche enorme Herausforderung es war – und heute für viele noch ist – in einem anderen Land Fuß zu fassen. Ein Buch, das erdet und das mehr Menschen lesen sollten.