Christian Berkel: Der Apfelbaum

Fiktion und Autobiografisches vereint in einem Roman
10. April 2020
Christian Berkel Der Apfelbaum

Der Apfelbaum: Ein ungewöhnlicher Titel für einen Familienroman, doch beim Lesen erschließt er sich. Christian Berkel, eher aus dem deutschen Fernsehen als Schauspieler bekannt, hat sich auf die Suche nach seinen Wurzeln begeben, seine Entdeckungen niedergeschrieben und neu interpretiert. Herausgekommen ist ein tiefgründiger, witziger und gefühlvoller Familienroman vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte.
Darum geht’s:
Sala und Otto sind 13 und 17 Jahre alt, als sie sich das erste Mal begegnen und verlieben. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie aus den Hinterhöfen Berlins, sie aus einer literarisch und künstlerisch bewanderten, jüdischen Familie. Als die Situation für die Juden in Deutschland zunehmend schlimmer wird, flieht Sala nach Paris, doch ein weiterer Fluchtversuch scheitert. Otto zieht als Sanitätsarzt in den Krieg und die beiden verlieren sich über viele Jahre aus den Augen. Doch das Schicksal beschwert ihnen ein Wiedersehen und einen neuen Anfang.

Leben, und bloß nicht aufgeben

Unter diesem Motto könnte der Roman ‚Der Apfelbaum‘ stehen, den Christian Berkel hier zu Papier gebracht hat. Der Leser – genauso wie der erwachsene Ich-Erzähler – folgte Sala und Otto durch alle Widrigkeiten, die die 1930er und 40er Jahre mit sich brachten. Sala ist Halbjüdin und wird dafür bestraft, obwohl sie sich nie etwas aus Religion gemacht hat und sich ganz als Deutsche fühlt. Otto kämpft gegen seine einfache proletarische Herkunft und strebt nach höheren Zielen, er will Arzt werden. Ein Zufall führt die beiden als Jugendliche zusammen, der Lauf der Geschichte trennt sie wieder – doch nicht für immer. Unabhängig voneinander und im wahrsten Sinne an verschiedenen Fronten kämpfen sie ums Überleben und geben niemals auf.

„Aber das Schlimmste war doch überwunden, wollte ich sagen und begriff gerade noch rechtzeitig, wie falsch dieser Satz war. Nein, das Schlimmste stand noch bevor.“

Der Apfelbaum als autobiografische Fiktion

Christian Berkel wechselt beim Erzählen zwischen den Perspektiven, was mir sehr gefallen hat. Wir lernen ihn als Erwachsenen kennen, der seine Mutter – Sala – nach der Vergangenheit und ihrer Beziehung zu seinem Vater fragt. Leider sind die Erinnerungen nicht mehr so klar, Sala leidet vermutlich an einer Demenz und bringt immer wieder Fakten durcheinander. Doch nach und nach finden sich die Puzzlestücke zu einem Bild zusammen, dass eine Liebesgeschichte offenbart, die die schlimmste aller Zeiten überdauert hat. Auf der anderen Seiten tauchen wir immer wieder direkt in die Vergangenheit ein und gehen abwechselnd den Weg gemeinsam mit Sala oder Otto. Welche Fakten dabei tatsächlich der Wahrheit entsprechen, lässt sich nicht sagen. Christian Berkel schreibt selbst, dass der Roman eine fiktive Geschichte ist, deren handelnde Personen jedoch so oder so ähnlich existiert haben. Aber: Es könnte alles durchaus so geschehen sein.

„Erst in der Erinnerung gewinnt unser Leben ein Gesicht. Ich will nicht wie ein Buch dastehen, aus dem einzelne Kapitel herausgerissen wurden, unverständlich für andere wie für mich selbst. Ich will versuchen, die leeren Seiten zu füllen.“

Fazit: Der Apfelbaum

Für mich war ‚Der Apfelbaum‘ mal ein ganz anderer Einblick in die deutsche Geschichte, den ich sehr genossen habe. Vor allem Sala – egal ob in jungen Jahre oder als ältere Frau – ist zwar ambivalent, aber sehr sympathisch. Sie ist eine starke Frau, die das Leben mehr als einmal benachteiligt hat und die doch nie den Mut verloren hat. Mit viel Charme, Witz und Einfühlungsvermögen hat Christian Berkel dieses Buch geschrieben, das von der bewegenden, manchmal ungeschönten Beschreibung des Alltags einer anderen Generation lebt.

Der Schreibstil ist flüssig und für mich eine kleine Hommage an die deutsche Sprache: Vom tiefsten Berliner Dialekt bis hin zu intellektuellen Begrifflichkeiten ist alles dabei. Mir hat besonders gut gefallen, dass jede Figur gerade in ihrem sprachlichen Ausdruck eine individuelle Besonderheit bekommen hat. Die kurzen Kapitel verleiten zum Weiterlesen, der Perspektivwechsel ist gut gewählt, man möchte wissen, wie es mit Sala und Otto weitergeht. Für mich ein wirklich gelungener Roman!

Der Apfelbaum

Autor*in: Christian Berkel
Übersetzung:
Kategorie*n: Historischer Roman | Roman
ISBN: 9783548060866
Verlag: Ullstein
Seiten: 416

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