Die Hochzeit der Chani Kaufman ist das Romandebüt von Eve Harris, die 1973 in London als Tochter polnisch-israelischer Eltern geboren wurde. Ihr Roman, der einen Einblick in das Leben der jüdischen Gemeinde in London gibt, schaffte es unter anderem auf die Man-Booker-Prize-Longlist.
Die Hochzeit der Chani Kaufman – Darum geht’s
Chani Kaufman ist gerade 19 Jahre alt, doch sie wird Baruch Levy heiraten – einen nur unwesentlich älteren jungen Mann, den sie dreimal getroffen hat. Beide sind unsicher und haben keinerlei Erfahrung mit dem anderen Geschlecht. Es stellt sich die Frage, wie Ehe und Glück unter diesen Voraussetzungen funktionieren soll. Hat die Liebe dabei ebenfalls eine Chance?
Ein Hochzeitspaar, das sich kaum kennt
Chani Kaufman und Baruch Levy sind das, was man gemeinhin als „arrangierte Ehe“ betrachtet. Nach nur wenigen Treffen verhandeln die Familien darüber, ob eine Hochzeit infrage kommt. In diesem Fall haben alle zugestimmt und so finden sich Chani und Baruch vor dem Traualtar wieder – völlig unerfahren und mit zahllosen Fragen im Kopf.
Schon auf den ersten Seiten kam beim Lesen eine gewisse Beklemmung auf. Ich hatte ehrlicherweise viel Mitleid mit den beiden jungen Menschen, die kaum eine Chance hatten, ihre Jugend auszuleben und sich kennenzulernen, bevor sie den Bund fürs Leben eingehen. Die an Naivität grenzende Unwissenheit ist gleichsam erschreckend und irgendwie süß. Dabei haben beide Fragen, die völlig normal für das Alter sind – beispielsweise hinsichtlich Sexualität –, doch niemand beantwortet sie ihnen. Das allein fand ich doch sehr krass, vor allem weil auch Themen wie Verhütung und ärztliche Vorsorge Tabu sind. Die jungen Frauen und Männer werden also im wahrsten Sinne in eine Situation geworfen, von der sie absolut keine Ahnung haben. So manche Schilderung hat mich wirklich sprachlos gemacht und – ja, ich gebe es zu – richtiggehend wütend.
Eine Parallelwelt
Das Leben in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde in London ist geprägt von Regeln und Traditionen, die einfach jeden Bereich des täglichen Lebens betreffen. Einiges davon war mir schon aus „Unorthodox“ von Deborah Feldman bekannt, die in ihrem Roman ihren eigenen Ausbruch aus der orthodoxen Gemeinde in Williamsburg/New York beschreibt. Insofern haben mich die Geschehnisse nicht so sehr „geschockt“, aber eben doch nachdenklich gemacht. Ich bin ehrlich – ich weiß nicht, ob alles Geschilderte nach wie vor so abläuft oder ob es auch da mittlerweile Änderungen oder Lockerungen gibt. Liest man den Roman, fühlt es sich doch an wie der Blick in eine Parallelwelt, die neben der bekannten Welt existiert. Das ist durchaus spannend und gerade im vorliegenden Fall fragt man sich, was Chani und Baruch daraus machen werden.
Figuren und Aufbau des Romans
Schon im ersten Kapitel finden sich die Leser*innen direkt in der Situation der Hochzeit von Chani und Baruch wieder. Ich selbst habe mich an dieser Stelle gefragt, was auf den nächsten 400 Seiten kommen soll, wenn die Hochzeit doch gerade schon stattfindet. Eve Harris hat das Buch so aufgebaut, dass die folgenden Kapitel, jeweils aus Sicht von Chani oder Baruch, frühere Ereignisse behandeln und nach und nach auf die Hochzeit hinführen. So erfahren die Leser*innen Hintergründe zur Anbahnung der Verbindung, erhalten einen Einblick in die Familien und die Gedankenwelt der jungen Menschen. Außerdem spielt die Frau des aktuellen Rabbis, die sogenannte Rebbetzin, eine überaus wichtige Rolle für die Geschichte…
Fazit: Die Hochzeit der Chani Kaufman
Von Zeit zu Zeit finde ich es sehr spannend, in fremde Kulturen oder – wie in diesem Fall – Religionen einzutauchen. Trotz kleinerer anfänglicher Schwierigkeiten habe ich schnell in Chanis Geschichte hineingefunden und fand sie als Figur sehr sympathisch. Sie hat einen sehr trockenen Humor und ist offensichtlich anders als die anderen jungen Frauen. Das zeigt sie auch Baruch gegenüber, was mir sehr gut gefallen hat, und noch mehr, dass er genau das an ihr schätzt.
Wer „Unorthodox“ gelesen hat, wird auf jeden Fall einige Parallelen feststellen. So oder so ist es aber ein sehr lesenswerter Roman, der in Teilen wütend macht, der Fragen aufwirft, rührend ist und teilweise wirklich lustig, denn typisch britischer Humor und jüdischer Witz kommen nicht zu kurz. Ganz klare Empfehlung von mir!