Mary Lawson: Im letzten Licht des Herbstes

Drei Schicksale in einer nordkanadischen Kleinstadt
13. November 2021
Mary Lawson Im letzten Licht des Herbstes Kanada Heyne

Im letzten Licht des Herbstes ist ein Roman von Mary Lawson, der die Geschichte dreier Personen erzählt. Im Mittelpunkt stehen zwei benachbarte Häuser in der nordkanadischen Kleinstadt Solace. „Im letzten Licht des Herbstes“ ist Lawsons zweiter Roman und stand 2021 auf der Booker Prize Longlist.

Im letzten Licht des Herbstes – Darum geht’s:

Herbst 1972: Die siebenjährige Clara steht jeden Tag am Fenster und hält Ausschau nach ihrer Schwester Rose, die spurlos verschwunden ist. Zu allem Übel liegt auch noch ihre Nachbarin, Mrs. Orchard, im Krankenhaus. Als plötzlich ein Fremder ins Nachbarhaus einzieht und Kartons mit den Sachen der alten Frau packt, ist Clara fassungslos. Der Fremde ist Liam Kane, der sein Leben in Toronto nach einer gescheiterten Ehe hinter sich lässt. Kann er im Haus, das Mrs. Orchard ihm geschenkt hat, einen Neuanfang machen? Und was steckt hinter dem Geheimnis, dass die alte Dame auch in ihrem Krankenbett nicht loslässt?

Drei Personen, drei Probleme

Im letzten Licht des Herbstes ist ein klassischer Episodenroman, dessen Zusammenhänge sich erst nach und nach aufdecken. Abwechselnd entwickelt sich die Geschichte aus Sicht von Clara, Elizabeth Orchard und Liam Kane. Clara vermisst ihre große Schwester Rose und weiß nicht, warum sie verschwunden ist. Dabei ist ihre Sicht auf die Dinge zwar kindlich, aber verständiger, als ihr alle zutrauen. Ein weiteres „Problem“ ist Mrs. Orchards Kater, Moses, der täglich gefüttert werden muss. Das klappt eine Weile, bis plötzlich Liam Kane auftaucht. Der Buchhalter ist aus seinem alten Leben geflohen und möchte eigentlich nur den Verkauf von Mrs. Orchards Haus klären. Elizabeth Orchard liegt indes mit immer schwächer werdendem Herzen im Krankenhaus und macht sich keine Hoffnungen. In der Ich-Perspektive spricht sie mit ihrem verstorbenen Mann über die Erinnerungen an einen kleinen Jungen, die sie nicht loslassen.

Zeitlich verschobene Perspektiven

Mir hat der Wechsel in der Erzählweise sehr gut gefallen. Clara hat die etwas naive Sicht eines Kindes auf die Vorgänge, die um sie herum geschehen. Sie malt sich Vieles aus und besitzt Fantasie. Liam bildet dazu mit seiner etwas abgeklärten Erwachsenensicht einen sehr gut gelungenen Kontrast. Man wartet beim Lesen auf das unvermeidliche Zusammentreffen der beiden und fragt sich, was weiter daraus erwächst. Liam fand ich als Charakter sehr sympathisch, auch wenn er gut und gern noch einige Ecken und Kanten mehr hätte haben können. Blass und beinahe unsympathisch empfand ich hingegen Elizabeth Orchard. Auch das „Geheimnis“ ihrer Vergangenheit hätte ich mir etwas Spektakulärer vorgestellt.

Doppeldeutiger Titel

Das Cover mit seinen bunten Bäumen hat mich sofort angesprochen. Es entspricht dem typischen „Indian Summer“, wenn man an den kanadischen Herbst denkt. Leider kam dieses Herbstfeeling doch etwas zu kurz. Die Jahreszeit als solche steht weniger im Vordergrund, vielmehr denke ich, dass sich der Titel auch auf den Herbst des Lebens bezieht. In diesem Fall den von Elizabeth Orchard. Ihre Erinnerungen tragen sie noch einmal zurück an einen Moment in ihrem Leben, an dem Freude und Leid nahe beieinander lagen. Aus diesem Grund ist der Titel doch sehr gut gewählt.

Weniger gut gefallen hat mir das Bodyshaming, das an vielen Stellen des Romans auftritt. Häufig werden Personen in der Kleinstadt Solace, z.B. die Bedienung im Diner, mithilfe ihrer Körpermaße beschrieben – und ebenso häufig ist diese Beschreibung negativ konnotiert. Sicher darf man nicht vergessen, dass der Roman Anfang der 1970er Jahre spielt. Denn hätte man darauf verzichten können bzw. müssen, da es für die Handlung der Geschichte nicht ausschlaggebend ist.

Fazit: Im letzten Licht des Herbstes

Alles in allem habe ich den Roman gern gelesen. Es war eine leichte Lektüre für Zwischendurch, der es meiner Meinung jedoch noch ein wenig an Tiefgang gefehlt hat. Die Personen und ihre Hintergründe bleiben etwas blass und recht oberflächlich. Außerdem kam keine richtige Herbststimmung auf, sieht man vom doppeldeutigen Bezug auf ein nahendes Lebensende einmal ab. Im letzten Licht des Herbstes ist ein nettes und gut geschriebenes Buch, das aber leider nicht allzu lange nachhallt.

Mary Lawson: Im letzten Licht des Herbstes

Autor*in: Mary Lawson: Im letzten Licht des Herbstes
Übersetzung: Sabine Lohmann
Kategorie*n: Roman
ISBN: 978-3-453-27357-3
Verlag: Heyne
Seiten: 352
Copyright: Heyne

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