Der Erlkönig – die Ballade von Johann Wolfang von Goethe, geschrieben 1782, kennen wohl die meisten. Jérôme Loubry bediente sich für seinen gleichnamigen Thriller dem Gedichtklassiker sowie dessen verschiedenen Interpretationsansätzen. Herausgekommen ist eine ungemein spannende Lektüre.
Der Erlkönig – Darum geht’s:
Nachdem ihre Großmutter verstorben ist, reist die Journalistin Sandrine auf eine Insel vor der Küste der Normandie, um sich um den Nachlass zu kümmern. Wenig später wird sie am Strand des Festlandes gefunden – verwirrt und blutüberströmt. Auf das, was sie im Krankenhaus erzählt, kann sich niemand einen Reim machen. Sie berichtet von einem Kinderheim auf der Insel und einem Bootsunglück, bei dem alle Kinder ums Leben kamen. Außerdem erwähnt sie immer wieder mit Schrecken den Erlkönig, der hinter allem steckt. Um den Fäden der Geschichte zu folgen, muss Kommissar Damien Bouchard in die Tiefen der menschlichen Psyche eintauchen.
Geniales Verwirrspiel
Kurz gefasst könnte man sagen: Nichts an diesem Buch ist so, wie es scheint. Der Autor schicken die Leser*innen auf eine ebenso geniale wie verwirrende Geschichte in die Vergangenheit. Abwechselnd wird die Geschichte von Sandrine im November 1986 und die ihrer Großmutter Suzanne im Sommer 1949 erzählt. Die Erzählung hält immer wieder völlig überraschende Wendungen bereit, die ich absolut nicht kommen sah. Wirklich genial entwickelt – und auch umgesetzt. Ich frage mich, ob der Autor beim Schreiben selbst ab und zu einen kleinen Knoten im Gehirn hatte 😊 Denn als Leser*in hat man den definitiv!
Mystisch, düster, abgrundtief
Gemeinsam mit dem Kommissar dringt man als Leser*in immer tiefer in Sandrines Geschichte und gleichsam in ihre Psyche ein. Recht schnell ist klar: Hier steckt mehr dahinter – doch was lässt sich beim besten Willen nicht vorhersagen. Häufig sind Kriminalromane oder Thriller ab einem bestimmten Punkt doch sehr vorhersehbar. Das ist bei „Der Erlkönig“ überhaupt nicht der Fall und hat mir richtig gut gefallen! Hinzu kam die unglaublich gut beschriebene Atmosphäre. Vor allem die etwas düstere, unterschwellige Stimmung auf der Insel hat Loubry sehr gut eingefangen. Man spürt die leichte Gänsehaut beim Lesen und weiß, hier passiert irgendetwas Schlimmes. Dies erinnert durchaus an die bedrohliche Situation im Erlkönig-Gedicht. Teilweise ist es richtig gruselig – aber auf eine angenehme Weise!
Fazit: Der Erlkönig
Nach seinem Erscheinen wurde das Buch „Der Erlkönig“ von Jérôme Loubry über die Maßen gelobt, die Rezensionen zeigten sich zumeist sehr begeistert. Mir sind solche Buch-Hypes eigentlich immer etwas suspekt, doch in diesem Fall war ich unheimlich neugierig, was dahintersteckt. Und tatsächlich möchte ich mich dem Lob gerne anschließen. Das Buch ist sehr gut und flüssig geschrieben, durch die Perspektivwechsel bauen die Kapitel Spannung und einen regelrechten Sog auf. Man möchte unbedingt wissen, was mit Sandrine passiert ist!
Statt „Thriller“ sollte eigentlich „Psychothriller“ auf dem Cover stehen! Die Abgründe, die sich auftun, sind nichts für schwache Nerven und lassen jeden Thrillerfan ganz sicher auf seine Kosten kommen! Von mir gibt’s eine Leseempfehlung, denn das hier ist einfach mal etwas ganz anderes!