Die Farbe von Milch ist der zweite Roman von Nell Leyshon, die außer Büchern auch Theaterstücke und Hörspiele schreibt. Im Roman gibt sie einem 15-jährigen Mädchen aus sehr einfach Verhältnissen eine Stimme.
Die Farbe von Milch – Darum geht’s:
Ein kleines Dorf, irgendwo in England, 1830: Mary ist die jüngste von insgesamt vier Schwestern, ihre Eltern sind Bauern und bewirtschaften einen Hof. Die Mädchen müssen mit anpacken, sie führen ein karges und entbehrungsreiches Leben. Mary ist gerade fünfzehn, als sie in den Haushalt des Dorfpfarrers ziehen muss, um dessen kranke Frau zu pflegen. Hier erfährt das Mädchen zum ersten Mal Wohlwollen und Anerkennung. Alles ändert sich jedoch, als die Frau des Pfarrers stirbt, und Mary mit dem Hausherrn allein bleibt…
Eine Stimme für die Stimmlosen
Das Buch ist aus der Ich-Perspektive geschrieben, Mary berichtet also selbst von allem, was ihr im Laufe eines Jahres widerfahren ist. Entsprechend ist die Geschichte in die Jahreszeiten aufgeteilt, beginnend im Frühling 1830 bis zum Frühling 1831. Es wird deutlich, dass Mary erst im Laufe dieses Jahres lesen und vor allem Schreiben gelernt hat. Der Preis, den sie dafür zahlen musste, ist hoch, doch nun ist es ihr möglich, selbst schriftlich festzuhalten, was ihr geschehen ist. Für die Zeit, in der das Buch spielt, bildet Mary damit eine Ausnahme, denn kaum ein Kind, vor allem die Mädchen, konnte lesen oder schreiben. Dies war nichts, was ein Bauernmädchen können musste, um einen Hof zu bewirtschaften und eine Familie durchzubringen.
Einfach, aber tiefgründig
Entsprechend des Alters der Protagonistin, ihrer einfachen Herkunft und der Tatsache, dass sie gerade erste Lesen und Schreiben gelernt hat, ist der Roman sprachlich gestaltet. Mary hält es einfach, beschreibt alles so, wie sie es sieht oder fühlt. Das wirkt auf den ersten Blick etwas holzig, entspricht aber den oben genannten Umständen des Mädchens. Auch die Dinge, die ihr im Laufe des Jahres widerfahren, beschreibt sie sachlich und beinahe nüchtern. Doch dieses Buch bietet eine Menge Potenzial, zwischen den Zeilen zu lesen und zu erraten, wie es um Mary tatsächlich steht. Eigentlich ist es recht erschütternd, wie mit diesem Mädchen, das zur damaligen Zeit keinerlei Rechte hat, umgegangen wird. Die Männer in ihrem Umfeld bestimmen über sie, ohne dass Mary etwas dagegen tun könnte.
Hohe Erwartungen…
„Die Farbe von Milch“ – was sich übrigens auf Marys Haarfarbe bezieht – wurde vielfach hochgelobt. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen an das Buch, aber um ehrlich zu sein, wurde es dem meiner Meinung nach nicht so ganz gerecht. Ich denke, ich habe mir eine noch wesentlich dramatischere Geschichte vorgestellt. Nicht, dass Marys Erlebnisse nicht schlimm sind, aber durch die eher nüchterne Sprache verlieren sie ein klein wenig von ihrem Schrecken.
Fazit: Die Farbe von Milch
Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, die Story allein ist doch recht außergewöhnlich, zumal aus der Ich-Perspektive eine jungen, eigentlich völlig ungebildeten Mädchens erzählt. Dennoch hatte ich irgendwie höhere Erwartungen an den Roman, die dieser nicht zu 100% erfüllt hat. Ich möchte trotzdem eine Leseempfehlung aussprechen, denn Marys Schicksal steht stellvertretend für so viele Mädchen und junge Frauen zur damaligen Zeit. Den Stimmlosen eine Stimme zu geben, ist Nell Leyshon mit dem Roman auf jeden Fall gelungen!