Zwei fremde Leben ist ein Roman von Frank Goldammer, der vor allem für seine historische Krimireihe um den Dresdner Kriminalinspektor Max Heller bekannt ist. In „Zwei fremde Leben“ greift er die sensiblen Themen organisierter Kindesentzug und Zwangsadoptionen auf, die es in der DDR gegeben hat. Herausgekommen ist ein berührendes Werk, dessen fiktive Story sich wie eine Mischung aus Gesellschaftsroman und Krimi liest.
Zwei fremde Leben: Darum geht’s
Dresden, März 1973: Ricarda Raspe bringt in der Nacht ihr erstes Kind zur Welt, doch man sagt ihr, es wurde tot geboren. Entsprechend der Richtlinien darf sie es nicht noch einmal sehen. Ricarda glaubt nicht an den Tod ihres Kindes, sondern vermutet, dass es ihr weggenommen wurde – vielleicht sogar von ihrem eigenen Vater, einem Arzt in der Klinik. Der Polizist, Thomas Rust, der den Vorfall zufällig mitbekommt, wittert ebenfalls ein Verbrechen und begibt sich eigenmächtig auf die heikle Suche nach der Wahrheit.
Berliner Umland, 1989: Die sechzehnjährige Claudia erfährt während eines Streits, dass sie nicht die Tochter eines hochrangigen Parteifunktionärs ist, sondern adoptiert wurde. Nach dem Mauerfall macht sie sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter.
Zeitgeschichte, spannend wie ein Krimi erzählt
Wie schon bei seinen Kriminalromanen, die deutlich früher spielen, schafft es Goldammer auch bei Zwei fremde Leben, die Geschichte lebendig werden zu lassen. Eingebettet in eine fiktive Story, die so aber tatsächlich hätte passieren können, liest sich das Buch wie ein Kriminalroman, denn die Suche nach der Wahrheit ist das zentrale Motiv. Das Thema selbst – staatlich angeordneter Kindesentzug und Zwangsadoption – ist beklemmend und erschütternd, gerade weil davon nicht allzu viel bekannt ist. Zwar war das auch nicht unbedingt Alltag in der ehemaligen DDR, doch vorgekommen ist es. Das Buch verknüpft die Leben zweier – eigentlich dreier – Protagonisten und schickt die Leser auf eine Reise, die sich zwischen 1973, über 1989 und 1993/94 bis ins Jahr 2018 spannt.
Authentische Personen und Schicksale
Der Leser verfolgt das Geschehen um drei Personen, wobei jedoch Ricarda Raspe – die Mutter, die nicht an den Tod ihres Babys glaubt – und Polizist Thomas Rust im Zentrum stehen. Während die Entwicklung Ricardas über mehrere Jahre verfolgt wird, bleibt der Leser mit Rust im Jahr 1973 und geht mit ihm auf die Suche nach der Wahrheit kurz nach dem vermeintlichen Verschwinden des Säuglings. Doch die Wahrheit zu finden, ist gar nicht so leicht, denn wer anfängt, Fragen zu stellen, gerät schnell ins Visier der Staatssicherheit – so auch Thomas Rust. Das Buch schildert hervorragend, wie Betroffene sich gefühlt haben müssen, die beobachtet wurden und ständig Angst hatten, „abgeholt“ zu werden. Psychoterror, Zerstörung von Leben und die Rekrutierung als „IM“ – Inoffizieller Mitarbeiter – der Stasi waren gängige Methoden. Man konnte nie wissen, mit wem man offen sprechen kann und wer ein doppeltes Spiel spielt. So ergeht es auch Rust.
Fazit: Zwei fremde Leben
Mit „Zwei fremde Leben“ ist Goldammer ein sehr berührender Roman gelungen, der Vieles aus dem Alltag der DDR-Bürger zeigt – auch abseits von Stasibespitzelung und Zwangsadoption. Die Sprache ist authentisch und hat hier und da regionale Züge, was die Story jedoch umso ehrlicher und glaubhafter macht. Die Gefühle der Protagonisten – allen voran Ricardas, der von Anfang an keiner glauben will, dass ihr Kind verschwunden ist – sind gut geschildert und lassen den Leser mitfiebern. Man möchte unbedingt wissen, was mit dem Kind nach der Geburt wirklich passiert ist. Hat Ricarda recht? Was hat ihr Vater, der Professor mit den Westkontakten, damit zu tun? Wer ist Freund, wer ist Feind? Die Kapitel haben eine gute Länge, arbeiten mit Perspektivwechsel und sind zeitlich gut gekennzeichnet. Alles in allem ein sehr gelungener historischer Roman, den ich sowohl ostdeutschen als auch westdeutschen Lesern ans Herz legen möchte!