Louise Kennedy: Übertretung

Eingängiges Porträt der irischen Troubles
26. November 2023
Übertretung Louise Kennedy Trespasses Belfast Nordirland Troubles Steidl Verlag

Übertretung (im englischen Original „Trespasses“) ist der erste Roman von Louise Kennedy, von der 2021 bereits ein Kurzgeschichtenband erschien. In „Übertretung“ beschäftigt sie sich mit der Lage in Belfast Mitte der 1970er Jahre und verpackt die „Troubles“ in die Geschichte einer jungen Frau.

Übertretung – Darum geht’s:

Belfast, 1975: Cushla Lavery führt ein recht eingefahrenes Leben zwischen ihrem Elternhaus, wo sie ihre alkoholkranke Mutter versorgt, der Grundschule, wo sie als Lehrerin arbeitet, und dem Pub ihrer Familie, wo sie ab und zu aushilft. Während sie ihren täglichen Pflichten nachgeht, eskalieren in der nordirischen Stadt die Troubles. Als Katholikin in einem überwiegend protestantischen Teil der Stadt sollte Cushla keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, doch dann lernt sie den deutlich älteren Michael Agnew kennen. Der Prozessanwalt ist Protestant, ziemlich bekannt und zudem verheiratet. Die Affäre mit ihm ist ein Spiel mit dem Feuer, ebenso ihr Engagement für den kleinen Davy, einem ihrer Schüler, der von den anderen schikaniert wird.

Die neue Normalität

Jeden Morgen wertet Cushla mit ihren Schüler*innen die Nachrichten aus, wie selbstverständlich berichten die Kinder von Anschlägen, Bomben und Toten. Die Troubles greifen um sich, und die Menschen arrangieren sich mit dem Terror. Wer ist Katholik, wer ist Protestant, welches politische Lager unterstützt man? In diesen turbulenten Zeiten sucht jede*r nach einem Stück Normalität, auch Cushla. So ist die Affäre mit Michael Agnew etwas, das einfach passiert, passieren muss, weil es ein Ausbruch aus dem Alltag mit den kontinuierlich schlechten Nachrichten ist. Trotzdem macht dieser Schritt etwas mit Cushla: Sie nimmt ihre Umgebung, ihre Familie, die Schule anders wahr, sie wird mutiger. Und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie Partei ergreift für einen ihrer Schüler und sich damit Probleme einhandelt.

Eingängiges Porträt

Auf den ersten Blick liest sich Louise Kennedys Roman recht ruhig und unaufgeregt, doch es gibt eine tiefere Ebene. Allein der Alltag zur damaligen Zeit, den sie in beinahe nüchternen Worten beschreibt, enthält viel Schreckliches, und doch ist er die „normale“ Realität der Menschen. Alle sind betroffen und doch muss jede*r Einzelne ihr*sein Leben meistern und das Beste herausholen. Auch Cushlas Leben verläuft fast banal und in strengen Routinen, bis sich die Dinge für sie nach und nach ändern, zumindest für eine Weile. Beim Lesen habe ich fast bis zum Schluss eine gewisse Distanz gegenüber Cushla verspürt, obwohl sie mir nicht unsympathisch war. Doch der Alltag ist geprägt von Vorsicht und Skepsis und genau dieses Gefühl, das Abwartende, transportiert Louise Kennedys Text für mich.

Fazit: Übertretung

Mit Übertretung ist Louise Kennedy ein Roman gelungen, der lange nachhallt. Er ist Zeitporträt, Liebesgeschichte und Gesellschaftsroman in einem. Mir gefiel der Widerspruch zwischen einer eher unaufgeregten Sprache und den eigentlich furchtbaren täglichen Gefahren, denen sich die Menschen damals ausgesetzt sahen. Mittendrin eine Protagonistin, die absolut in gesellschaftlichen und religiösen Konventionen gefangen ist und ganz sachte einen Ausbruch wagt. Absolut gelungen, klare Leseempfehlung!

Übertretung

Autor*in: Louise Kennedy
Übersetzung: Claudia Glenwinkel, Hans-Christian Oeser
Kategorie*n: Historischer Roman
ISBN: 978-3-96999-259-3
Verlag: Steidl
Seiten: 320
Copyright: Steidl

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