Die Gespenster von Demmin ist der Debütroman von Verena Kessler. Mit viel trockenem Humor und Formulierung „on point“ schildert sie die Herausforderungen des Erwachsenwerdens. Gleichzeitig nimmt sie sich ein Stück deutsche Geschichte vor. Das Ergebnis: eine sehr gelungene Mischung!
Die Gespenster von Demmin – Darum geht’s:
Die 15-jährige Larry – eigentlich Larissa – ist in der Kleinstadt Demmin großgeworden und will nach der Schule nur eines: weg. Raus aus der langweiligen ostdeutschen Provinz und als Kriegsreporterin dorthin, wo das echte Leben spielt. Bis dahin muss sie sich noch gedulden, macht aber schon mal Überlebenstraining und hilft nebenbei auf dem Friedhof aus. Dort zeugt ein Massengrab von dem Drama, das sich am Ende des Zweiten Weltkriegs in der kleinen Stadt abgespielt hat. Larrys Nachbarin, mittlerweile über 90, kann sich daran sehr genau erinnern. Während sie sich auf den Umzug ins Altersheim vorbereitet, driftet sie immer wieder in die Vergangenheit ab und trifft eine Entscheidung…
Eine will Krieg, die andere davon weg
Hauptfigur in Kesslers Roman ist Larry, ein unterschwellig wütender Teenager, wie er im Buche steht. Sie sehnt sich nach Abwechslung, nach allem, was ein Ausweg aus der Langeweile ist. Zwischen Schule, Netto und dem Friedhof malt sie sich ihr zukünftiges, aufregendes Leben aus. Ihre Ambitionen, Kriegsreporterin zu werden, kann niemand so ganz nachvollziehen. Bei ihren Übungen, etwa kopfüber am Apfelbaum hängen, wird sie regelmäßig von der betagten Nachbarin beobachtet. Sie kämpft mit ihren eigenen Dämonen, die sie seit dem Kriegsende in Demmin verfolgen und die sie am liebsten vergessen möchte. Diese Gegenüberstellung der Figuren fand ich sehr spannend – und sehr gelungen.
Was ist in Demmin passiert?
Ohne, dass Verena Kessler es im Detail beschreibt, erfahren die Leser*innen nach und nach etwas über Demmins Vergangenheit. In der von Flüssen umgebenen Kleinstadt fand 1945 der größte Massensuizid der deutschen Geschichte statt. Hunderte – manche Quellen sprechen von über eintausend – Menschen nahmen sich damals das Leben, viele ertränkten sich in der Peene. In die fiktive Geschichte von Larry und ihrer betagten Nachbarin wird das Unglück nur bruchstückhaft eingebunden. Keßler gelingt es damit, Geschichte zu vermitteln, ohne ein Geschichtsbuch zu schreiben.
Klar, humorvoll und auf den Punkt
Der Schreibstil hat mir unheimlich gut gefallen! Larry erzählt ihre Kapitel als Ich-Erzählerin, während die Kapitel der Nachbarin in der dritten Person erzählt sind. Larry hat eine passiv-aggressive Art, sich auszudrücken, vieles findet nur in ihrem Kopf statt, der eingesetzte Humor ist absolut trocken. Insgesamt eine wirklich gute Mischung, die einen sehr schnell vorankommen lässt. Ich mochte Larry – und hätte sie gern einfach manchmal in den Arm genommen. Das Besondere ist außerdem, dass Larry und ihre Nachbarin sich nicht begegnen, aber Vermutungen über die jeweils andere anstellen. Ich dachte mehrmals, dass die Jüngere gut daran tun würde, mit der Älteren zu sprechen. Dass genau das nicht passiert, fand ich einen spannenden Ansatz.
Fazit: Die Gespenster von Demmin
Die Gespenster von Demmin war für mich ein absolut kurzweiliges, aber durchaus tiefgründiges Lesevergnügen. Larrys trockene Art ist einnehmend, auch wenn man manche ihrer Aktionen vielleicht nicht so ganz nachvollziehen kann. Das Buch animiert auf subtile Weise dazu, sich mit der Geschichte Demmins auseinanderzusetzen, ohne den erhobenen Zeigefinger zu schwingen. Sehr, sehr gut gelungenes Debüt, das ich wirklich gern weiterempfehle!